In den Entwicklungsländern haben Millionen von Menschen keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung, Medikamenten oder Impfstoffen, die in den meisten Industrieländern verfügbar sind. 10 Millionen Kinder unter 5 Jahren sterben jedes Jahr in Folge von Infektionskrankheiten. 3 Millionen Kinder sterben jedes Jahr, weil sie nicht geimpft sind. 150 Millionen Frauen würden sich für die Geburtenkontrolle entscheiden, haben aber keinen Zugang zu Kontrazeptiva. Die Ausbreitung von AIDS führt dazu, dass bezüglich des Gesundheitsstatus zwischen Industrienationen und Entwicklungsländern eine immer breitere Lücke klafft.
Akute Diarrhö, Tuberkulose und Atemwegserkrankungen führten zu schrecklichen Verlusten in den Entwicklungsländern, obwohl Medikamente zur Behandlung der Krankheiten existieren. Die offensichtliche Verbindung zwischen Krankheit und Armut, die deren Entstehung ermöglicht, mündet direkt in den Behandlungskosten, die zu teuer für den Patienten sind und verweist somit auf die pharmazeutische Industrie.
Die Realität indes ist weitaus komplexer: Adäquate Gesundheitsversorgung bezieht sich nicht nur auf die Bezahlung der Medikamente sondern umfasst auch die Ausbildung des medizinischen Personals (Krankenschwestern, Ärzte, Pharmazeuten) und den allgemeinen Bildungsstand in der Bevölkerung, um Verständnis von Hygienevorschriften und Therapieverfahren aufzubringen.
Die pharmazeutische Industrie, die sich Ihrer Rolle bewusst ist, steigert diesbezüglich ihre Initiativen: Freie Verfügbarkeit von Medikamenten, Forschungsprojekte, die auf die Dritte-Welt zugeschnitten sind... Es werden heute kaum isolierten Initiativen mehr begonnen. Alle Schlüsselfiguren - ob staatlich, international oder privat orientiert - haben die Notwendigkeit des gemeinsamen Handelns realisiert und ihre Aufgabe erkannt, sich für Projekte mit der Zielsetzung, die Gesundheitspflege der Ärmsten zu verbessern, einzusetzen.
Quelle: 'L'industrie Pharmaceutique et le Tiers Monde', Jean-Jacques Bertrand, SNIP 1999
Viele Impfstoffe (Vaccines) sind entwickelt worden, um Infektionen zu verhindern, die selten vorkommen oder nur geringfügige Bedeutung haben (Vorkommen nur in einer bestimmten Region, dann aber weitverbreitet). Um diese Impfstoffe zu entwickeln, muss Geld investiert werden, welches meist nicht durch den Verkauf der Produkte zurückfliesst. Die Entwicklung stellt somit ein unternehmerisches Risiko dar und lässt viele Unternehmen zögern. Da diese Impfstoffe durch die pharmazeutische Industrie vernachlässigt wurden, nennt man sie « Orphan Vaccines ».
Bevor neue Impfstoffe entwickelt werden können, sind einige Hindernisse zu überwinden :
Entgegengesetzt zur landläufigen Meinung, ist der Verkaufumsatz von Impfstoffen nicht direkt mit dem Ausmaß einer Epidemie (also der Anzahl der Personen die immunisiert werden müssen) gekoppelt, sondernmit den Kosten der Impfdosis. Der Preis eines Impfstoffs orientiert sich an Forschungs- und Entwicklungsausgaben, sowie Produktions- und Vertriebskosten, die vermindert werden müssen, um in einem begrenzten Markt Fuß zu fassen.Entgegengesetzt zur landläufigen Meinung, ist der Verkaufumsatz von Impfstoffen nicht direkt mit dem Ausmaß einer Epidemie (also der Anzahl der Personen die immunisiert werden müssen) gekoppelt, sondernmit den Kosten der Impfdosis. Der Preis eines Impfstoffs orientiert sich an Forschungs- und Entwicklungsausgaben, sowie Produktions- und Vertriebskosten, die vermindert werden müssen, um in einem begrenzten Markt Fuß zu fassen.
Es ist nahezu unmöglich eine Kosteneinsparung durch Massenproduktion von Impfstoffen zu erzielen. Ökonomische Modelle der Impfstoffherstellung zeigten ein inverses Verhältnis zwischen der Anzahl der produzierten Dosiseinheiten und der Kosten pro Dosis.
Eine Strategie der Preisstufung wurde von der World Health Organisation (WHO) vorgeschlagen: teurer, in geringen Mengen produzierter Impfstoff für Industrieländer soll den mit großen Umsatzvolumen produzierten Impfstoff der Entwicklungsländer subventionieren, leider ist diese Strategie nicht anwendbar bei Impfstoffen, die nur in geringen Umfang in denEntwicklungsländern benötigt werden.
Die Entwicklung eines neuen Medikamentes macht nur dann Sinn, wenn gewerbliche Schutz- und Urheberrechte in Form eines Patents sicherstellen, dass sich die Investitionen des Geldgebers auszahlen. Nicht alle Länder verfügen über einen entsprechenden Patentschutz oder ein Rechtssystem, das den Schutz des geistigen Eigentums gewährleist, so dass längerfristige Entwicklungsfähigkeit von Impfstoffen verhindert wird.
Es ist sehr schwierig in diesen Ländern neue Impfstoffe zu entwickeln, da im Vorfeld die optimale Nutzung bereits existierender Impfstoffe gewährleistet sein muss.
Eine Rahmenrichtlinie der WHO, die sog. 'Children's Vaccine Initiative' (CVI), setzt den Schwerpunkt auf die Entwicklung von Impfstoffen mit kommerzieller Perspektive. Diese kostenorientierte Vorgabe reflektiert die Schwierigkeiten bei der Entwicklung von Medikamenten für Tropenkrankheiten, sogar für die häufigsten Erkrankungen, z. B. Malaria.
Andere (nicht-ökonomische) Faktoren könnten die Entscheidung der Industrie unterstützen, Orphan Vaccines zu entwickeln :
Die pharmazeutische Industrie sollte :
Bei der Qualität eines Impfstoffs ist kein Kompromiss akzeptabel. Das bedeutet für die Industrie, dass für Orphan Vaccines die gleichen Kosten entstehen, die auch für herkömmliche Medikamente bezügl. Entwicklung, Qualitätskontrolle, Verfahrenswege der Herstellung u.s.w. angesetzt werden müssen.
Aus den genannten Gründen muss die Entwicklung der Orphan Vaccines von strengen politischen Maßnahmen gestützt werden. Das Wissen über den Nutzen der Immunisierung sollte auf den folgenden drei Ebenen gesteigert werden :
'Das Leben wird nicht vom Impfstoff, sondern durch Immunisierung gerettet.' Wenn ein Impfstoff existiert, muss er für die Zielbevölkerung auch zugänglich sein. Strategische Vorgehensweisen für die Entwicklung und Vermarktung der Orphan Vaccines werden nachfolgend aufgeführt.
1 - Informationsbereitstellung und Schwerpunkt-bildung |
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Steigerung der Aufmerksamkeit der Bevölkerung für die Krankheit: Bildung von Interessengruppen (Patienten, Eltern, Ärzte), Expertengruppen und nationalen Foren. |
Darstellung von epidemiologischen Daten für ausgewählte Infektionskrankheiten um Entscheidungsfindungen anzuleiten: Nutzung der Datenregister der Länder, die vergleichbare Fall-Definitionen anwenden und Sammlung von Informationen durch wissenschaftliche Publikationen, über den Kontakt zu spezialisierten Fachleuten, Patientenorganisationen und Vereinigungen pharmazeutischer Hersteller. |
Einschätzung der Vor- und Nachteile von Impfstoffen vs. vorhandener Alternativen: Realistischer Vergleich von Aufwand und Eignung der Impfmaßnahmen gegenüber den Kosten und Maßnahmen der vorhandenen Alternativen, z. B. der Behandlungstherapie oder der Vektorkontrolle. |
Gewährleistung politischer Hilfestellungen für Impfkampagnen, Organisation von Partnerschaften zwischen Personen und Gruppen aus den öffentlichen, privaten und nichtstaatlichen Bereichen. |
2 - Anregung der Forschung über Impfstoffe und Forderung nach nationaler/regionaler Unterstützung |
Einerseits Förderung innovativer Forschung und Entwicklung von Technologien, die für die Herstellung von Impfstoffen mit großem Verkaufspotential genutzt werden könnten, andererseit Unterstützung solcher Verfahren, die Niedrigkosten von herkömmlichen Impfstoffen gewährleisten. |
Anregung der Verbindungen zwischen öffentlichen und privaten Bereichen: Bildung von akademischen/industriellen Vereinigungen. |
Erreichen internationaler Standarts für Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit von Impfstoffen. Definition des Minimums der notwendigen Daten, die zur Lizensierung ausreichen. |
Empfehlungen geeigneter Verzeichnisse, Altersstufen. |
Förderung der Schaffung nationaler und regionaler Anreize (z. B. von der USA und der EU) über die Orphan Drug Politik. |
Erweiterung und Verkürzung des Zeitraums zur Zulassung. |
3 - Sicherstellung von Markt-/Finanz-/Produktions- und Verteilungstransparenz |
Reduktion der Investitionsrisiken der Hersteller durch Bereitstellung realistischer Einschätzungen über die Nachfrage. |
Finanzierung der Entwicklung von Orphan Vaccines für Entwicklungsländer durch die verschiedenen Institutionen, so z. B. CVI, WHO, UNICEF, PAHO, WB, USAID, NIH, CDC, PATH, andere Einrichtungen und nichtstaatliche Organisationen und Stiftungen (z. B. Gates Foundation) auf Basis von Zielunterstützung für die bedüftigsten Länder (gemessen am Bruttosozialprodukt). |
Verstärkung der politischen und öffentlichen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Orphan Drug Initiativen zwischen Europa, den USA und anderen Ländern, um eine übernationale Behörde zu bilden, die für Orphan Vaccines verantwortlich ist (World Office of Orphan Vaccine Development or CVI) und die für die Harmonisierung und Koordinierung der Finanzierung (über die Forschung bis hin zur Herstellung) dient. |
Identifizierung und Erweiterung des Kundenprofils. |
Förderung und Unterstützung des gewerblichen Rechtsschutzes. |
Abklärung von Entschädigungsprogrammen, die die Verantwortlichkeit bei Haftungsfällen übernehmen. |
Auswertung der Preisabstufung auf zwei Ebenen:
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Erstellung von Verkaufsstrategien, z. B. über Werbeaktionen. |
Unterstützung des Verteilungsnetzwerks für die Verfügbarkeit von Impfstoffen einer bestimmten Zielgruppe. |
Die Hindernisse, die bei der Entwicklung von Orphan Vaccines auftreten, verdeutlichen die wichtige Bedeutung von politischen Rahmenbedingungen in Bezug auf z. B. Kosten- und Qualitätsmanagement, aber auch bei Fragen der Umsetzung und spiegeln die Rolle der Regierung bei der Marktregulation wieder. Die Umsetzung einer allgemeinen Richtlinie für Orphan Drugs weltweit wird nur dann Erfolg haben, wenn eine starke internationale Organisation gefördert wird. Der Aufgabenbereich dieser Organisation wäre dann wie folgt :
Quellen : CDC Emerging Infectious Diseases Development of orphan vaccines : an industry perspective'; November 1999
Der von 39 pharmazeutischen Industrieunternehmen begonnene Rechtsstreit gegen die südafrikanische Regierung unterstreicht den tatsächlichen Gesundheitsnotstand in einigen Ländern. Regierungen, die nicht in der Lage waren, die Kosten der Medikamente zu tragen, erlaubten trotz Patentschutz die Vermarktung von Generika auf dem nationalen Markt.
Das Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS- agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) wurde 1994 unterzeichnet, zeitgleich mit den Vereinbarungen, auf die sich World Trade Organization.
begründet. Im Jahre 1997, verabschiedete Südafrika ein Gesetz, das den paralellen Import und die Einfuhr von Medikamentensubstitution auf ihrem Territorium erlaubte. Dieses Gesetz wurde als gegensätzlich zu TRIPS und als nicht-konstitutionell von der pharmazeutischen Industrie bewertet.
Einige Länder, z. B. Indien, in denen TRIPS noch nicht durchgesetzt wurde, sind Großproduzenten billiger Generika. Zahlreiche Interessenverbände, darunter Médecins sans Frontières (Ärzte ohne Grenzen) bemühen sich zusammen mit der Südafrikanischen Regierung um die Förderung von Generika.
Die pharmazeutische Industrie wird für die hohen Preise der Behandlungenmethoden verantwortlich gemacht. Diese jedoch verweigert die Einsicht, dass sie den Zugang zu Arzneimitteln blockiert. Da die Situation in Südafrika sehr dringlich ist (fast 5 Millionen HIV positive Menschen Ende des Jahres 2000), wird die Hauptschuld der Industrie zugewiesen, deren Rolle kann jedoch nicht darin bestehen, das soziale Sicherheitssystem und die politischen Verantwortlichkeiten zu ersetzen. Für die Industrie ist es von großer Bedeutung, dass die Gesetze zum Schutz des geistigen Eigentums respektiert werden, da nur so Forschung und Entwicklung neuer Medikamente gefördert wird. Sie bekräftigt ihren Willen, armen Ländern den Zugang zu antiretroviralen Medikamenten zu erleichtern, zeigt jedoch auch Besorgniss über die Zukunft ihrer weltweiten Patente. Dazu kommt die Gefahr, dass die ärmeren Länder den preisschädigenden Warentransport von Niedrigpreismedikamenten in die reichen Länder nicht ausreichend unterbinden.
Trotz dieser Fakten ist die südafrikanische Regierung nicht ganz schuldlos an der momentanen Situation des Landes. Hilfestellungen des 'International Therapeutic Solidarity Fund', die präventive Mittel zur vertikalen HIV-Übertragung (Mutter-zu-Kind) zur verfügung stellen wollten, wurden genauso abgelehnt, wie Angebote der Industrie, einen Preisnachlass zu gewähren oder kostenlose Medikamente zur Verfügung zu stellen. Da AIDS noch nicht als nationale Notsituation deklariert wurde, kann die Regierung nicht von den legalen Maßnahmen profitieren, die zum Beisiel in Form der Zwangslizenzen (compulsory licences) Erleichterung bringen würden.
Zwangslizenzen ermöglichen Unternehmen unter bestimmten Umständen (speziellen Gefährdungslagen im Gesundheitssektor), die Produktion bereits patentierter Medikamente, wenn an den Patenthalter Lizenzgebühren entrichtet werden.
Ein Meeting der World Health Organization (WHO) und der World Trade Organization (WTO) in Hosbjor nahe Oslo (Norwegen) vom 8. bis 11. April 2001 diente der Diskussion zur differenzierten Preisgestaltung. Inhaltlicher Schwerpunkt des Workshops bildete das abgestufte Preissystem und die Finanzierung von essentiellen Medikamenten
. Das Treffen umfasste 50 der wichtigsten Experten, die sich aus Vertretern aller beteiligten Protagonisten hinsichtlich essentieller Medikamente zusammensetzte: Pharmazeutische Industrie, Generikaproduzentenn, NGO Vertreter, Regierungsvertreter und internationale Organisationen.
Demnach kann ein erweiterter Zugang zu preisgünstigen Medikamenten für ärmste Länder nur dann ermöglicht werden, wenn folgende erfüllbare Bedingungen erfüllt sind:
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